15. Juli 2021, 11:42 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Haben Sie einmal darüber nachgedacht, woher der verführerische Schimmer in Ihrem Lidschatten kommt? Die Industrie verwendet dafür Mineralstaub, auch „Mica“ genannt, der von Natur aus glitzert. Dafür muss er jedoch zunächst in ostindischen Minen abgebaut werden. Oft von Kindern, die dabei ihre Gesundheit riskieren.
Während das Bewusstsein über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in der Textil-Industrie wächst, ist ein anderes Problem bislang kaum thematisiert worden: die Kinderarbeit in der Kosmetik-Branche. Dabei ist diese seit Jahren bekannt und auch, wo sie stattfindet. Zum Beispiel in Jharkhand, einem Bundesstaat in Indien, wo schon Vierjährige im Tagebau schuften müssen. Und das nur, damit unser Make-up schön schimmert.
Übersicht
Mienenarbeit statt Schule
Die Kinder selbst haben laut dem Online-Portal „Aktiv-Gegen-Kinderarbeit“ eine andere Motivation, sich durch die verrußten Minen zu wühlen: Hunger. Damit ihre Eltern etwas zum Essen kaufen können, hacken die Kleinen mit Eispickeln Mineralstaub von den Wänden. Dabei sind sie großen Gesundheitsrisiken wie Schlangen- und Skorpionenbissen, Verletzungen, Atemwegserkrankungen oder einem Mineneinsturz ausgesetzt. Außerdem ist die Bezahlung miserabel: An zehn Kilogramm Mica verdienen die Kinder für ihre Familien gerade einmal 50 Rupien, also knapp 60 Cent. Eine Studie von „Terre des Hommes“ aus dem Jahr 2016 schätzte die Zahl der Kinder in solchen Mienen auf rund 20.000.
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„Schmutziges“ Mica – Kinderarbeit ist nur schwer auszuschließen
Die Glimmer-Ware gelangt über indische Zwischenhändler an internationale Großkonzerne und Kosmetikunternehmen. 2009 stand beispielsweise die deutsche Pharmafirma Merck in Kritik, „schmutziges“ Mica gekauft und damit namhafte Kosmetik-Riesen beliefert zu haben. Damals hatte das Unternehmen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP angekündigt, bessere Kontrollen durchzuführen. Im Februar 2021 geriet Rihannas populäres Kosmetikunternehmen Fenty Beauty in Kritik. Die indische Körperschaft Nationale Kommission zum Schutz der Kinderrechte (NCPCR) hat das Unternehmen ins Visier genommen, weil es angeblich Glimmer aus indischen Minen verwendet.
Jährlich werden rund 150.000 Tonnen (!) Mineralstaub in Indien produziert (Stand 2020). Vor dem Hintergrund dieser Dimensionen sei es extrem schwierig, Kinderarbeit in der Lieferkette auszuschließen, sagt Aidan McQuade, Chef von Anti-Slavery International. „Bei stichprobenartigen Prüfungen werden oft große Missstände übersehen,“ erklärte der Menschenrechtsaktivist schon 2014 gegenüber „The Guardian“. Außerdem sei Korruption hier an der Tagesordnung: „Spuren von Kinderarbeit werden oft bewusst vertuscht.“
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Transparenz ist bei der Mica-Produktion nicht möglich
Einige Unternehmen ziehen aus dieser Undurchsichtigkeit Konsequenzen. So haben sich unter anderem Chanel, Claris, H&M, Sephora und The Body Shop zur Responsible Mica Initiative (RMI) zusammengeschlossen, die bis 2023 nur noch Glimmer aus legalen Minen kaufen möchte. Ob die Bedingungen dort wirklich viel besser sind? Lässt sich von Verbraucher*innenseite nicht überprüfen. Lush verzichtet bereits seit 2018 komplett auf natürliches Mica und nutzt stattdessen die synthetische Variante. Merck entschied sich, eine Kampagne der indischen Non-Profit-Organisation Bachpan Bachao Andolan (BBA) zu unterstützen, die „kinderfreundliche“ Dörfer in den verdächtigen Minen-Ortschaften aufbaut, um das Risiko auf Kinderarbeit in diesen Gebieten einzudämmen. Laut „IndiaTimes“ arbeiten auch die Kosmetik-Riesen Esteé Lauder und Chanel mit BBA zusammen und spenden regelmäßig für die Familien und das Bildungssystem im Osten Indiens.
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Noch keine echte Lösung in Sicht
Richtig viel bringe das alles nicht, glaubt Menschenrechtler Aidan McQuade: Was es brauche, sei ein Gesetz. „Dadurch könnte man Firmen, die mit Kinderarbeit in Verbindung gebracht werden, zur Verantwortung ziehen.“ Und so lange ihre Eltern so verzweifelt schlecht bezahlt werden, dass sie keine andere Möglichkeit sehen, als ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, ist eine Lösung noch in weiter Ferne.
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