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Schönheitsideale im Wandel

Attraktivitätsforscher: „Medien sorgen für Verbreitung – auch von Schönheitsbildern“

Kim Kardashians Figur ist für viele in der heutigen Zeit das Schönheitsideal. Vor einigen Jahrzehnten sah das noch anders aus ...
Kim Kardashians Figur ist für viele in der heutigen Zeit das Schönheitsideal. Vor einigen Jahrzehnten sah das noch anders aus ... Foto: Getty Images
freie Autorin bei STYLEBOOK

22. Dezember 2022, 13:45 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

In den Neunzigern galt es als chic, spindeldürr zu sein, heute wünscht sich Frau einen prallen Hintern mit extrem dünner Taille wie Kim Kardashian. Schönheit befindet sich immer wieder im Wandel. Doch wodurch wird dieser beeinflusst? Ein Attraktivitätsforscher gibt Auskunft und liefert eine erstaunliche Erkenntnis.

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Die 1990er-Jahre waren ein aufregendes Jahrzehnt: Neben Buffalo-Schuhen, Schlaghosen, Boy- und Girl-Bands, war es aber auch das Jahrzehnt, indem die „Size Zero“, also eine Kleidergröße 32, als besonders erstrebenswert galt. Topmodels wie Kate Moss verkörperten einen ganz bestimmten Körpertypen. Das bekam auch Schauspielerin Kate Winslet zu spüren, wie sie im Podcast „Happy Sad Confused“ im Gespräch mit dem Moderator Josh Horowitz erst kürzlich verriet.

Als sie durch den Film „Titanic“ an der Seite von Leonardo DiCaprio 1997 schlagartig bekannt wurde, machten einige Fans und sogar Journalisten ihr Gewicht dafür verantwortlich, dass der Filmcharakter Jack nicht gemeinsam mit ihrer Rolle Rose auf der treibenden Tür im eiskalten Atlantik überlebt hätte. In einem früheren Interview mit der Zeitung „The Times“ sagte sie, dass sie während ihrer Ausbildung an der Schauspielschule vor allem für „fette Mädchen“-Rollen infrage gekommen sei.

Schönheitsideale im Wandel: Von Heroin-Chic zum Kardashian-Look

Doch Zeiten ändern sich. Mittlerweile sind neben durchtrainierten Körpern vor allem kurvige Typen à la Kim Kardashian angesagt. Die Zauberformel lautet: üppiger Po, große Brüste, schmale Taille. Für viele Frauen ist das aber mit normalem Training und Ernährungsumstellung nicht zu erreichen. Die Folge: Immer mehr verspüren den Wunsch, ihren Körper zu verändern.

Zur Not auch mit einem operativen Eingriff – der dann, wenn sich der Schönheitstrend wieder ändert, von manchen sogar rückgängig gemacht wird, wie das Beispiel der Rapperin Shirin David zeigt. Weil sie in kein Oberteil mehr gepasst habe, habe sich dazu entschlossen, ihre Brustvergrößerung wieder rückgängig zu machen, wie die BILD berichtete. 

Für Professor Dr. Ulrich Rosar, Soziologe und Attraktivitätsforscher an der Heinrich-Heine-Universität sind solche Entwicklungen keine Überraschung. Er beschäftigt sich in seiner Forschung seit Jahren damit, was Menschen als attraktiv und schön erachten. „Teilweise ist es auch das Missverständnis der Menschen, dass besonders attraktive Merkmale wohl noch attraktiver werden, wenn man sie überakzentuiert“, sagt er. 

Bei Frauen gelten etwa volle, rote Lippen als sehr attraktiv. Das könne mit Schminken unterstrichen werden, aber durch ein Lippenaufspritzen natürlich noch mehr betont werden. „Da kann es aber schnell zu Überbetonungen kommen. Es kommt leider häufiger bei Frauen vor, dass sie denken, mehr ist automatisch besser, obwohl das von außen betrachtet nicht unbedingt der Fall ist“, erklärt der Soziologe.

Gesellschaftliche Konstrukte nehmen Einfluss auf Schönheitstrends

Das hänge auch mit gesellschaftlichen Konstrukten und Vorurteilen zusammen, wie Rosar weiter erklärt: „Viele Frauen streben auch – zumindest in Deutschland – eher Untergewicht an, weil sie denken, dass Männer das besonders attraktiv finden würden. Tatsächlich bevorzugen Männer eher kurvigere Frauen.“

Frauen würden sich nachweislich mehr als Männer über ihr Äußeres definieren und würden häufiger als Männer auf ihr Aussehen reduziert. „Es gibt einen großen, sozial konstruierten Unterschied zwischen Männern und Frauen: Bei Männern ist es sozial akzeptiert, dass sie den Mangel an Attraktivität mit wirtschaftlichem Erfolg ausgleichen. Bei Frauen funktioniert das nicht“, fasst es Rosar zusammen. Diese Vorstellung sei absurd, aber eben dennoch in unseren Köpfen.

Dabei verändert sich das, was die Gesellschaft als grundsätzlich schön erachtet und damit zu einem Ideal erhebt, gar nicht so sehr im Laufe der Zeit. „Sie werden niemals erleben, dass alte, kahlköpfige und faltige Männer als attraktiver wahrgenommen werden, als junge, sportliche und durchtrainierte Männer. Dasselbe gilt für Frauen. Es gibt ein paar Konstanten. Was man viel mehr als Änderung von Schönheitsidealen wahrnimmt, ist der Einfluss alternativer Faktoren“, erklärt Rosar. Das mag für einige überraschend klingen, doch im Prinzip lassen sich nur drei Gründe für den Wandel von Schönheitsidealen festmachen, so der Soziologe.

Wir präferieren das, was gerade knapp ist

„Wenn wir in einer Überflussgesellschaft leben, ist es etwa leichter, dick und schwer als schlank und durchtrainiert zu sein. Deswegen haben wir in Zeiten des Überflusses eher eine besondere Präferenz für sehr schlanken und sportlichen Körpern. Die 80er- und 90er-Jahre waren so eine Phase“, erklärt der Experte. Umgekehrt werde in einer Mangelgesellschaft eine gewisse Körperfülle als besonders attraktiv wahrgenommen.

„Es gibt Kulturen, da haben Männer dann besonders füllige Frauen, aber das ist dann auch eher ein Statussymbol und kein wirkliches Schönheitsideal im engeren Sinne“, sagt Rosar. Vereinfacht ausgedrückt symbolisiere diese Verbindung: Das sei ein Mann, der es sich leisten könne, seine Frau so zu ernähren, dass sie dick ist.

Marker, die für Gesundheit und Fortpflanzung stehen, definieren Schönheit

Die Attraktivität dieser Merkmale könne sich im Zeitverlauf ändern. Als Beispiel nennt der Soziologe etwa, dass blasse Haut bis zur Zeit der Industrialisierung ein Indikator dafür gewesen sei, dass diese Menschen nicht hart arbeiten mussten und daher wohl auch gesünder waren.

„Heute, wo wir alle im Büro hocken und nie das Tageslicht sehen, ist es die gebräunte Haut, die auf einmal als attraktiv und gesund angesehen wird“, so Rosar.

Trendsetter beeinflussen Schönheitsideale kurzweilig

Jede und jeder Mensch versuche, sich von anderen abzuheben, auch über das Äußere. „Sobald eine Person damit erfolgreich ist und Anerkennung findet, finden sich Nachahmer und es können Moden entstehen“, meint Rosar. Damit wären wir dann wohl wieder bei Kim Kardashian angelangt. Sie verkörpere nicht unbedingt das klassische sportliche Schönheitsideal, sondern sei sehr weiblich gebaut.

Damit habe sie sich jedoch sehr erfolgreich in Szene gesetzt. „Aber auch hier haben wir eine seltene Körperform, die Fans als begehrens- und nachahmenswert erscheint: Kurviger Körperbau und extrem schmale Taille“, gibt der Soziologe zu bedenken.

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„Medien sorgen für Verbreitung – auch von Schönheitsbildern“, bringt es Rosar auf den Punkt. Im Laufe der Zeit habe sich unserer Gesellschaft zu einer immer Visuelleren entwickelt. Das habe schon mit dem Abdruck von Bildern in Büchern, Zeitungen und Flugblättern angefangen und setzte sich bis zu Social Media heutzutage fort. Insgesamt haben die Möglichkeit und Verfügbarkeiten zugenommen, erklärt Rosar.

Das kann sogar so weit gehen, dass ein intensiver Social-Media-Konsum mit einer Körperbildstörung einhergehen kann, wie bereits mehrere Studien nachgewiesen haben, erklärt der Soziologe. „Wenn ich Attraktivitätsmessungen durchführe, ist es mittlerweile auch so, dass die durchschnittlich normal attraktiven Personen eher als unattraktiv empfunden werden“, so Rosar. Der Maßstab habe sich durch Medien, insbesondere durch Social Media, so stark verschoben, dass das Normale mittlerweile bereits eher als unattraktiv wahrgenommen werde.

Eine Spirale, aus der wir uns nicht befreien können? Nicht unbedingt, Rosar glaubt: Der Einfluss einzelner Kulturkreise werde in Zukunft nicht mehr ganz so stark sein. „Ich glaube, je universaler die Medien werden, desto mehr wird dieser Einfluss an Bedeutung verlieren oder sich zumindest angleichen. Das werden immer globalere Trends und sie werden immer homogener, ähnlich wie bei der Mode“, sagt er.

Bis dahin versuchen wir uns alle ein wenig mehr darauf zu konzentrieren, dass Schönheit eben immer auch im Auge des Betrachters liegt.

Quellen:

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