2. März 2023, 19:42 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Kaum zu glauben: Auf sogenannten Femizid-TikToks verherrlichen Männer den Mord an Frauen. Sie laden Videos hoch, in denen sie über Dating-Fantasien mit Todesfolge sprechen. Die Plattform reagiert sofort und löscht diesen Content. Zurück bleiben jedoch verängstige und erschrockene Frauen, denn Femizide sind ein weltweites Phänomen.
Seit mehreren Monaten ist eine gefährliche „Bewegung“ auf TikTok im Umlauf. Meist noch junge Männer posten verstörende Videos, in denen sie über erste Dates sprechen, die sie mit einem Mord an der Frau abschließen. Der Grund: Das Frausein. Ebenso bizarr wie die Songauswahl für diese Videos („Lost“ von Frank Ocean), ist die Genauigkeit der Beschreibungen der Gedanken: sehr ausführlich, zu detailliert. Dabei zeigen sich die Männer vor der Kamera, scherzen noch über all das, was sie da von sich geben. Zwar kommt TikTok nicht hinterher, alle Femizid-Videos zu löschen, doch der Großteil wurde bereits entfernt.
Übersicht
Was sind Femizide?
Femizide sind weltweit ein verbreitetes Phänomen und beschreiben das Tötungsdelikt an Frauen. Hierbei werden Frauen, einzig aufgrund ihres Geschlechts, ermordet. Das ist die Definition von Soziologin Diana Russell aus dem Jahr 1976. Der Begriff Femizide wird dabei vom englischen „Homocide“ (Mord) abgeleitet. Meistens handelt es sich dabei um (Ex-) Männer, die die Frauen aufgrund einer Auseinandersetzung oder bevorstehenden Trennung ermorden. Umso verstörender ist der Trend, besonders für Frauen, die bereits häusliche Gewalt erfahren mussten. Femizide werden erst seit 2015 in Deutschland aufgezeichnet. Das Bewusstsein wächst, ist aber definitiv noch nicht im Geringsten durchgekommen.
Was sind Femizid-TikToks?
Ohne jegliche Vorwarnung ploppen diese Videos auf der Plattform TikTok auf, sind verstörend und triggernd. Die Kurzclips hinterlassen absolut verunsicherte Betrachter. Einige Userinnen berichten davon, dass sie dadurch nur noch mehr Angst vor Männern entwickelt haben, als es ohnehin schon der Fall sei. Diese Videos lassen sich kaum verdrängen. Und die Ersteller? Die sehen darin überhaupt kein Problem. Sich über Frauenmorde lustig zu machen, rechtfertigen sie als „so unrealistisch“, dass es wieder witzig sei. Femizide sind allerdings real. Wie real die tödliche Gewalt durch Hass an Frauen ist, zeigen die Zahlen: Laut Amnesty International stirbt jeden dritten Tag eine Frau durch einen Femizid.
Ebenso beunruhigend ist die teilweise positive (!) Resonanz auf die Videos – auch von Frauen selbst. Es sei „witzig“, eine Art „Humor“, man solle sich schließlich „nicht so anstellen“, heißt es unter den Videos. Einige wurden über 1000 Mal geteilt. Und bekanntlich teilt man auf TikTok meist Beiträge, die man mag, mit Menschen, die die gleichen Interessen teilen.
TikTok reagiert sofort auf Femizid-Videos
„Buzzdfeed Deutschland“ bekam eine Stellungnahme von TikTok zu den Videos, darin hieß es: „Frauenfeindlichkeit hat auf TikTok keinen Platz. Inhalte, die hasserfülltes Verhalten und Gewalt gegen Frauen fördern, verstoßen gegen alles, wofür wir als sichere und inklusive Plattform stehen, und werden entfernt.“
Die TikTokerin @divergentredhed repostet die Femizid-Videos, die derzeit im Internet kursieren, noch bevor sie gelöscht werden und hinterlegt sie mit echten und identischen Femizid-Fällen, um so aufzuzeigen, wie gefährlich diese Videos sind. Aus einem ganz bestimmten Grund: Sie litt selbst jahrelang unter häuslicher Gewalt, möchten diesem Hass an Frauen keine Chance geben und über die Dringlichkeit berichten.
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Die Schattenseiten der Plattform
Weltweit beliebt und leicht zugänglich: Das beschreibt die Kurzvideos, die mehr Macht haben, als uns manchmal Recht ist. Wer die Videos am Ende zu sehen bekommt, das weiß nur das chinesische Unternehmen selbst. Klar ist, wie schnell sich Videos, die bis zum Schluss angeschaut werden, verbreiten. In sekundenschnelle erreichen sie über Millionen Aufrufe. Der leichte Zugang ermöglicht auch jungen – teilweise noch unsicheren – Menschen den Blick auf diese Art von Content. Was macht das mit jungen Menschen, wenn sie sehen, dass solche Videos so viel Anerkennung erfahren – besonders wenn sie humoristisch aufbereitet werden? Alles unter den Faktor Humor oder Spaß zu versiegeln, macht all das nur noch gefährlicher. Es relativiert Gewalt und Mord an Frauen, nicht mehr, nicht weniger.
TikTok muss für all diese erschreckenden Videos, die es auf die Plattform geschafft haben, Verantwortung übernehmen. Mit der Löschung der Inhalte und diversen neuen Technologien versuchen sie solche Fälle einzugrenzen. Allerdings schaffen es User immer noch, verstörende Inhalte auch nur für wenige Minuten auf die Videoplattform zu stellen.
Hass gegen Frauen im Netz ist keine Neuheit
Frauenhass ist auf Social Media allerdings keine Neuheit. Im Gegenteil. Dabei ist besonders die Incel-Bewegung (Incel = Incoluntary Celibate) – zu Deutsch Männer, die in unfreiwilliger Enthaltsamkeit leben – im Netz sehr ausgeprägt. Dahinter steckt eine Gruppe heterosexueller Männer, die bewusst extremen Hass gegen Frauen im Internet verbreiten. „Frauen sind der Abschaum der Erde“, ist nur eine der vielen Hassrufe, die sie verbreiten. Die Community sieht den Feminismus als absoluten Feind. Mit ihrem Content werten sie Frauen ab und versuchen sich selbst damit aufzuwerten. Natürlich ist das nur das Ergebnis von Frustration und Selbsthass. All diese Synonyme machen diesen Hass aber nicht weniger gefährlich für uns Frauen. Gewaltbereit und in ständiger Wut haben sie sich zur Aufgabe gemacht, Frauen zu verletzen.
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Wird TikTok bald verboten?
Haben all diese gefährlichen Inhalte auf TikTok bald ein Ende? Die Plattform hat weltweit ungefähr eine Milliarde Nutzer. Während China im eigenen Land Zensur betreibt, wenn es um Inhalte geht, die dort nicht geduldet werden (u. a. Homosexualität) wird auch seit längerem in Europa über ein Verbot der App gesprochen. Jedoch aus anderen Gründen: Hierbei steht besonders der Schutz von Jugendlichen und Kindern im Vordergrund. Der ist innerhalb der App nicht gegeben, wie wir auch an den Femizid-Videos erkennen. Nun hat die EU-Kommission TikTok wegen der gefährlichen Inhalte Sanktionen angedroht. Die Forderung lautete: Das chinesische Unternehmen soll sich an die europäischen Regeln halten.
Die unzureichende Datensicherheit und der nicht vorhandene Jugendschutz der Plattform, seien nicht hinnehmbar, ließ der EU-Kommissar Thierry Breton verlauten. Ein neues EU-Gesetz, das ab dem 01. September 2023 in Kraft treten soll, wird es möglich machen, die App sperren zu lassen, wenn die EU-Richtlinien nicht eingehalten werden. Ein Verbot der Plattform auf Diensthandys hatte die EU-Kommission schon vor wenigen Wochen entschieden. Auch die USA rückt nach, dort wird derzeit ein Verbot vorbereitet. Aufgrund von Sicherheitsbedenken in Bezug auf Daten dürfen Handys nicht mehr auf Diensthandys heruntergeladen werden.
Sogar von einer Gefahr für die nationale Sicherheit wird gesprochen. Alle Mitarbeiter von Bundesbehörden müssen die App jetzt löschen, wie das weiße Haus letzte Woche bekannt gab. Dafür haben sie 30 Tage Zeit bekommen. Der Auslöser: Der chinesische Mutterkonzern ByteDance hatte im Dezember zugegeben, drei Journalisten anhand der Plattform ausspioniert zu haben.
Quellen
- Femizide in Deutschland: Wenn Männer Frauen töten, Ndr
- Femizide, Gender Glossar
- EU-Kommission droht TikTok mit Verbot, Zdf