20. Dezember 2023, 15:53 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
„Eine Schande für Frankreich. Da stehen wir nicht dahinter!“ Nein, hier geht es nicht um ein politisches Wahlprogramm oder kritisch zu betrachtende Aussagen wichtiger Meinungsmacher. Der Skandal, um den es sich handelt, ist eigentlich so banal, dass er sich beinahe erfunden anhört: Die diesjährige „Miss Frankreich“ wurde gewählt – und sie trägt kurze Haare! Das Internet ist darüber nicht erfreut, wie man aus unzähligen Hasskommentaren in den Sozialen Medien entnehmen kann. Zu „woke“ sei das Wahlergebnis, nicht weiblich genug die Gewinnerin. Weshalb hinter der Kritik an der neuen „Miss France“ Eve Gilles ein viel tiefgehenderes Problem steckt, lesen Sie im Artikel.
Hasskommentare gegen „Miss Frankreich“ wegen Kurzhaarfrisur
103 Jahre „Miss Frankreich“ und wohl noch nie wurde eine Siegerin so hart kritisiert wie die diesjährige Gewinnerin Eve Gilles. Grund für zahlreiche Hasskommentare im Netz sind allerdings kein auffälliges Verhalten oder eine negative Einstellung. Viel schlimmer noch: Die 20-Jährige wagte es doch tatsächlich eine Kurzhaarfrisur zu tragen!
Geboren in Dunkerque im Norden Frankreichs, ist die Mathematik- und Informatikstudentin in der Geschichte des französischen Schönheitswettbewerbs die erste Frau mit Pixie-Cut, die vergangenen Sonntag als „Miss France“ hervorging. Doch anstatt sich gebührend feiern zu lassen, muss Gilles seit der Siegerehrung unzählige Hasskommentare auf den Sozialen Plattformen Instagram und X einstecken. Nicht weiblich genug sei die Frisur der Miss, eine Frau habe schließlich schönes, langes Haar vorzuweisen.
Allein die letzten Instagram-Posts zählen über zehntausend Kommentare – und diese sind an Dreistigkeit kaum zu überbieten. „Ist das eine Miss oder ein Mister?“, schreibt ein User. „Der Witz ist vorbei, wer ist jetzt die echte Miss Frankreich?“, fragt ein anderer. Der Jury wird vorgeworfen, sie habe Gilles nur gewählt, um eine möglichst „woke“ Entscheidung zu treffen. Wenn allerdings eine Kurzhaarfrisur bei einer Frau ausreicht, um eine Debatte über Weiblichkeit und Feminismus zu starten, sollte man sich fragen, ob das Problem nicht vielleicht ganz woanders liegt.
Miss-Wahlen und Rollenbilder veraltet
Denn worum geht es in Schönheitswettbewerben eigentlich? Die Wahl zur „Miss Frankreich“ zählt zu den ältesten nationalen Schönheitswettbewerben überhaupt. Ins Leben gerufen wurde er 1920 von einem französischen Journalisten. Unterbrochen wurde die jährliche Suche nach der schönsten Frau Frankreichs lediglich vom Zweiten Weltkrieg. Was als reiner Schönheitswettkampf begann, hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu etwas Größerem entwickelt – möchte man zumindest meinen. So geht es nicht länger nur um das Aussehen, sondern auch um die Persönlichkeit und die Werte der teilnehmenden Frauen. Wozu also all das Drama wegen eines Pixie-Cuts?
Vielmehr könnte man das Ganze als einen schönen Kontrast zu den ohnehin veralteten Miss-Wahlen sehen. Nachdem jahrelang kritisiert wurde, dass nur schlanke, weiße Cis-Frauen bei ebensolchen Wettbewerben als Siegerinnen hervorgingen, dürfte man sich über eine Gewinnerin, die sich von ihren Vorgängerinnen unterscheidet, eigentlich nur freuen. Und überhaupt – veraltete Rollenbilder und Stereotypen darüber, was als weiblich gilt und was nicht, sollten endlich aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Denn gerade in einem Zeitalter, in dem es egal sein sollte, wie man sich kleidet und wie man aussieht, haben solche Kommentare nichts mehr verloren. Schließlich kann auch ein Mann lange Haare tragen, ohne ihm dadurch die Männlichkeit zu nehmen. Bereits die Wikinger taten das und da würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, sie als unmännlich zu bezeichnen.
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Doch nicht nur „Miss Frankreich“ Eve Gilles erntet harte Kritik. So muss auch die Jury viele Negativkommentare einstecken. Die 20-Jährige habe demnach nicht gewonnen, weil sie die schönste Frau Frankreichs ist, sondern weil man damit ein Zeichen setzen wolle. Und das liegt nicht letztendlich an der Geschichte der Kurzhaarfrisur. Gerade in den 1920ern galt ein Kurzhaarschnitt bei Frauen als ein Zeichen des Widerstands. Widerstand gegen das Leben, wie es vor dem Krieg war, von Frauen, die für ihr Wahlrecht oder das Recht auf Arbeit kämpften. Besonders unter jungen Frauen gewann die Frisur deshalb schnell an Beliebtheit. Mit der Zeit wandelte sich jedoch auch die Bedeutung dahinter. Aus der Frise mit Message wurde schnell ein wahrer Trend. Stilikonen wie Audrey Hepburn oder Princess Diana machten den Look zu ihrem Markenzeichen. Beide waren unter anderem für ihre Schönheit und Weiblichkeit bekannt.
Zwar ist es kein Geheimnis, dass langes Haar bei Frauen sinnbildlich für Weiblichkeit steht und stereotypisch betrachtet als schön gilt. Das bedeutet jedoch nicht, dass das eine Kurzhaarfrisur nicht auch kann. Erst recht nicht bedeutet das, dass mit der Wahl einer kurzhaarigen Frau zur „Miss Frankreich“ eine zweite Französische Revolution gestartet werden soll. Und selbst wenn der Schönheitswettbewerb (was zu bezweifeln ist) mit der diesjährigen Siegerin ein Zeichen setzen wollte, so beweisen die Reaktionen und Kommentare doch, dass das auch dringend nötig war.