30. Dezember 2022, 14:31 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Ein Tod, der die Fashion-Welt und weit darüber hinaus schockt: Dame Vivienne Westwood ist tot. Liebevoll als „Enfant Terrible“ bezeichnet, wird ihr Ableben eine tiefe Lücke im Modekosmos hinterlassen. STYLEBOOK zeigt die bedeutenden Momente der außergewöhnlichen Designerin und Aktivistin.
Dame Vivienne Westwood, die bahnbrechende, britische Modedesignerin, die Punk und Politik in die erlesene Welt der Haute Couture brachte, ist am 29. Dezember im Alter von 81 Jahren gestorben. Sie verstarb friedlich im Kreise ihrer Familie in Clapham, Südlondon, wie ein Sprecher von Westwood bestätigte. Der Tod von Vivienne Westwood markiert das Ende einer einzigartigen Karriere, die weit über die Modewelt hinausgeht.
Vivienne Westwood – eine Rebellin seit Kindertagen
Aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet
Vivienne Isabel Swire wurde am 8. April 1941 als Tochter eines Wurstfabrikarbeiters und einer Gemüsehändlerin in dem Dorf Tintwistle in Cheshire geboren. 1957 zog es sie in die große Stadt, genauer gesagt: nach London, wo ihre Eltern ein Postamt betrieben. Daraufhin belegte Westwood ein Semester lang einen Silberschmiedekurs an der Harrow Art School (heute University of Westminster). Dort fühlte sie sich aber ironischerweise von der Kunstwelt dermaßen abgeschreckt, dass sie sich stattdessen an der Sekretärinnenschule einschrieb, wo sie später eine Ausbildung zur Lehrerin machte. Auf einer Tanzveranstaltung im Jahr 1961 lernte sie Derek Westwood kennen und heiratete ihn 1962 – im eigenen Design selbstverständlich. So kam Vivienne auch zu ihrem berühmten Nachnamen. Beide bekamen einen Sohn, Benjamin Westwood, der 1963 geboren wurde. Das Paar trennte sich aber, als er drei Jahre alt war.
Ein Herz für Außenseiter
Nachdem sie den damaligen Kunststudenten Malcolm McLaren kennengelernt hatte, brachte Westwood 1967 ihren zweiten Sohn Joseph Corré zur Welt. Ihre beiden Söhne wuchsen gemeinsam in Südlondon auf, wo sie an einer Grundschule unterrichtete. „Ich war eine sehr gute Lehrerin“, sagte Westwood 2007 der britischen Zeitung „Guardian“. „Außer dass ich immer die Kinder mochte, von denen alle anderen dachten, sie seien eine Nervensäge. Die kleinen Rebellen.“
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Unscheinbarer Start einer großen Karriere
1971 eröffneten Westwood und McLaren in London eine Boutique namens „Let It Rock“, in der sie Fünfzigerjahre-Erinnerungsstücke und Dandy-Anzüge verkauften. Jeden Abend immer nur für ein paar Stunden. Dort fertigten sie Teddy-Boy-Trousers (so nannte sich eine Jugendbewegung), Drapiermäntel und Mohair-Pullover an, bevor sie in den Siebzigern die Punkband Sex Pistols ankleideten.
Etwa zur gleichen Zeit begannen sie, Slogan-T-Shirts mit bunten, aus Hühnerknochen gestalteten Wörtern, Hosen mit Reißverschlüssen von vorne bis hinten und zertrampelte Batik-Tops zu verkaufen. Der Laden erhielt im Laufe der Jahre mehrere neue Namen: von „Too Fast to Live Too Young to Die“ über „Sex“ im Jahr 1974 (mit der Einführung der fetischähnlicher Kleidung und Stachelschuhen) und „Seditionaries“ bis hin zu „World’s End“ im Jahr 1979.
Vivienne Westwood zog aus allem Inspiration
„Ich habe den Ruf, eine Art Sexbesessene zu sein und solche Dinge, aber das bin ich nicht. Ich liebe dieses Zitat von Jean Shrimpton: ‚Sex stand noch nie ganz oben auf meiner Prioritätenliste’“, sagte Westwood dem „Guardian“. Westwood und McLaren entwarfen 1981 gemeinsam unter dem Label World’s End die ikonische, von der New Romantic inspirierten „Piraten“-Kollektion, bevor sie sich trennten. Im selben Jahr erschienen ihre Kreationen auch erstmals in der britischen „Vogue“ – ein Meilenstein für die Designerin. Nur wenige Jahre nach ihrer ersten Pariser Show im Jahr 1983 schrieben Modekritiker Westwoods Entwürfe die Wiederbelebung der britischen Modeszene zu.
So sehr Westwood einen Platz in der Modegeschichte einnimmt, so sehr wurde sie im Laufe ihrer sieben Jahrzehnte währenden Karriere zu einer Modehistorikerin. Sie machte vor nichts halt und erstellte mit ihren Werken eine kunstvolle Bricolage. Seien es wogende Piratenhemden, ihr berühmt-berüchtigtes Tartan oder die Fülle an Korsetts – Westwood zog Inspiration aus Vergangenem und erschuf Neues mit kulturellem Kontext.
Das Enfant terrible sorgte für einige Fashion-Aha-Momente
Vivienne Westwoods Name ist auch mit einigen der denkwürdigsten Momente in der Mode verbunden. Darunter mit Naomi Campbell, die auf dem Laufsteg 1993 mit lila Python-Plattform-Heels stürzte. Ein weiterer Aha-Moment 1995: die fast nackte Kate Moss, die Eiscreme aß, während sie nur einen Minirock, einen Hut und Stöckelschuhe auf dem Runway trug.
Geliebt und verehrt – sogar vom britischen Königshaus
Westwood wurde 1992 von Königin Elizabeth II. mit dem OBE (Order of the British Empire) ausgezeichnet und trug dafür keinen Schlüpfer. „Ich wollte mein Outfit zur Geltung bringen, indem ich den Rock schwang. Hatte dabei nicht bedacht, dass das Ergebnis glamouröser sein würde, als ich erwartet hatte, da die Fotografen praktisch auf den Knien saßen… Ich habe gehört, dass das Bild die Königin amüsiert hat“, sagte sie damals schmunzelnd. Ihr Verhalten schien nicht weiter zu stören, denn 2006 wurde sie zu einer Dame ernannt – diesmal scheinbar mit Schlüpfer und kecken, aufgeklebten Hörnern.
Die Designerin kritisierte Konsum und Kapitalismus
Für Vivienne Westwood bot Mode den perfekten Anlass, um Systemkritik zu äußern. „Es veränderte die Art und Weise, wie die Menschen aussahen“, sagt Westwood über einige ihrer wegweisenden Kollektionen. „Ich hatte eine messianische Einstellung zum Punk und wollte sehen, ob man dem System irgendwie einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Ich erkannte, dass es keine Subversion ohne Ideen gibt. Es reicht nicht aus, alles zerstören zu wollen“, so die Rebellin in einem „Guardian“-Interview.
Westwood nutzte den Laufsteg als ihre politische Plattform. Auf den T-Shirts ihrer Frühjahrskollektion 2006 stand „I Am Not A Terrorist, Please Don’t Arrest Me“, während die Models bei der Show 2008 Schilder trugen, die faire Gerichtsverfahren für die Gefangenen von Guantanamo Bay forderten. Bei der Frühjahrskollektion 2013 rief ein Transparent zu einer Klimarevolution auf. Bei anderen Gelegenheiten zeigte sie ihre Unterstützung für die US-Whistleblowerin Chelsea Manning und den WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Auch politische Parteien, Umweltschutzorganisationen wie Cool Earth und Greenpeace sowie die Occupy-Demonstrationen im Jahr 2011 lagen der Aktivistin am Herzen. Im Jahr 2014 rasierte sich Westwood sogar ihre knallroten Haare ab, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.
Wie geht es mit der Marke Vivienne Westwood weiter?
Westwoods gleichnamiges Label führte Couture-, Braut-, Herren- und Damenkollektionen. In den späten Achtzigern lernte sie den österreichischen Modestudenten Andreas Kronthaler kennen, als er an der Wiener Schule für angewandte Kunst unterrichtete. 1992 heirateten sie. Sie arbeiteten unter dem Westwood-Label zusammen, 2016 wurde er zum Kreativdirektor der Marke ernannt, und die Hauptlinie wurde in Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood umbenannt. „Ich werde Vivienne in meinem Herzen weiterführen“, sagte Andreas Kronthaler nach dem Tod der Fashion-Ikone in einem Statement: „Wir haben bis zum Schluss gearbeitet, und sie hat mir viel gegeben, mit dem ich weitermachen kann.“ Die Vivienne Foundation, eine gemeinnützige Stiftung, die von Westwood, ihren Söhnen und ihrer Enkelin gegründet wurde, wird 2023 offiziell an den Start gehen, um „das Vermächtnis von Viviennes Leben, Design und Aktivismus zu ehren, zu schützen und fortzuführen“.
Vivienne Westwood wird eine tiefe Lücke in der Fashion-Welt hinterlassen, die wohl auch nicht allzu schnell gefüllt werden kann. Nicht nur ihre ikonischen Designs prägten für fast sieben Dekaden die Mode, sonders auch ihr Aktivismus. Westwood verstand es, Kunst zu kreieren, die die Massen zum Nachdenken anregte.
Die letzte Rebellin wird bitterlich fehlen.
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Quellen
- ‚I don’t feel comfortable defending my clothes. But if you’ve got the money to afford them, then buy something from me. Just don’t buy too much‚, The Guardian
- Instagram von Vivienne Westwood
- Vivienne Westwood, a Lifetime of Looks, The New York Times
- Modeschöpferin Vivienne Westwood gestorben, ZDF