2. April 2023, 16:24 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
TikTok ist voll mit Videos zum neuen Wirkstoff Tretinoin – eine angebliche Wunderwaffe gegen Akne und Hautalterung. Kein Wunder, dass #tretinoin mit über 673 Millionen TikTok-Views zum absoluten Hype-Wirkstoff geworden ist. Doch was steckt hinter dem rezeptpflichtigen Mittel? STYLEBOOK hat bei Expertinnen nachgefragt, ob der Hype um Tretinoin berechtigt ist.
Obwohl so viele über Tretinoin sprechen, sind Produkte mit dem Wundermittel nicht einfach in der Drogerie zu erhalten. Der medizinische Wirkstoff aus der Familie der Retinoide ist sehr effektiv gegen Akne, Hyperpigmentierung und Falten – aber hier in Deutschland verschreibungspflichtig. „Und das zu Recht“, laut Dermatologin Dr. Jetske Ultee: „Denn die falsche Anwendung von Tretinoin kann das Gegenteil bewirken, also zu mehr Hautalterung und Hautschäden führen“ und in manchen Fällen auch die sogenannte Retinoid-Dermatitis auslösen.
Übersicht
- Was ist Tretinoin?
- Wie ist die Wirkung der Vitamin-A-Säure?
- Wie sieht die Behandlung mit Tretinoin aus?
- Risiken bei der Anwendung von Tretinoin
- Retinol, Retinal und Tretinoin: Wo liegt der Unterschied?
- Diese Wirkstoffe lassen sich mit Tretinoin am besten kombinieren
- Für welche Hauttypen ist Tretinoin effektiv?
- Was raten Expertinnen: Ist Tretinoin mehr als ein TikTok-Hype?
Was ist Tretinoin?
„Tretinoin (Vitamin-A-Säure) ist eine aktive Form von Vitamin A und wirkt sofort auf der Haut“, erklärt Dr. Jetske Ultee, Forschungsärztin auf dem Gebiet der kosmetischen Dermatologie. Das Vitamin-A-Derivat stammt neben den anderen sehr effektiven Anti-Aging-Wirkstoffen Retinol und Retinal ebenfalls aus der Familie der Retinoide und wird schon seit Jahrzehnten bei starker Akne, Pigmentstörungen und fortgeschrittener Hautalterung verschrieben, denn „Tretinoin wirkt wirklich sehr gut!“
Wie ist die Wirkung der Vitamin-A-Säure?
Der aktive Wirkstoff Tretinoin hat gleich mehrere positive Effekte: Der Zellumsatz wird durch Tretinoin angekurbelt, Talg und Hautschuppen lösen sich, Poren verstopfen nicht und Hautunreinheiten verbessern sich bei langfristiger Behandlung. „Zudem fördert Vitamin-A-Säure die Produktion von Kollagen und Elastin, hemmt Metalloproteinasen (Enzyme, die Kollagen und Elastin abbauen)“, beschreibt Dr. Ultee. Das Ergebnis: Die Haut wird glatter, gleichmäßiger und auch die Hautstruktur fester. „Und als ob das noch nicht genug ist, können auch Pigmentflecken durch Tretinoin verblassen!“
Wie sieht die Behandlung mit Tretinoin aus?
Die Dosierung (von 0,02 bis 0,1 Prozent) und Behandlung ist je nach Hautbild individuell und muss unter ärztlicher Aufsicht eingestellt und beobachtet werden. Anfangs wird meist mit einer niedrigen Dosierung begonnen, die in Form von Cremes, Lotionen oder Gels zwei- bis dreimal in der Woche. Dadurch wird die Haut langsam an Tretinoin gewöhnt. Je nachdem, wie gut die Haut auf den starken Wirkstoff reagiert, kann die Frequenz schrittweise erhöht werden – beispielsweise von einem Prozentsatz von 0,02 auf 0,05. „Ärztliche Aufsicht ist unglaublich wichtig, denn vor allem am Anfang kann Tretinoin die Haut reizen. Und das trägt nicht zur Schönheit bei“, erklärt Dr. Ultee. Außerdem sollte der Wirkstoff nicht tagsüber verwendet werden, denn „Tretinoin reagiert mit dem Sonnenlicht. Deshalb tragen Sie es besser nur abends auf die gereinigte und trockene Haut auf.“
Risiken bei der Anwendung von Tretinoin
„Bei der erstmaligen Verwendung von Tretinoin können Hautreizungen wie Rötungen, ein brennendes Gefühl oder Juckreiz auftreten. Die Haut kann sich auch schuppen. In diesem Fall sollte die Häufigkeit der Anwendung angepasst werden, da die Haut sonst Schaden nehmen oder altern kann“, warnt die Dermatologin Ultee. Bei der Behandlung von Akne kann Tretinoin erstmal auch zur Verschlechterung des Hautbilds führen und „die Hauterkrankung in den ersten Wochen verschlimmern.“ Es entstehen mehr Pickel, die Tretinoin an die Oberfläche bringt. Doch nach einigen Wochen der Verschlechterung verbessert sich der Hautzustand nachhaltig. Durch die Behandlung mit Tretinoin kann die Haut mehr Feuchtigkeit verlieren, trockener und auch dünner werden. Auch Augentrockenheit ist ein mögliches Risiko, wenn Tretinoin in der Nähe der Augen kommt, erzählt auch Dr. Eveline Urselmann, Expertin für ästhetische Medizin.
Ein Beauty-Tipp von Dr. Ultee: „Tretinoin-Cremes können (vor allem anfangs) auch als Maske verwendet werden. Dann wird sie am Abend aufgetragen und nach 30 Minuten wieder abgespült. Auf diese Weise können Hautreizungen teilweise verhindert werden.“
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Retinol, Retinal und Tretinoin: Wo liegt der Unterschied?
Alle drei Wirkstoffe zählen zu den Retinoiden, den sogenannten Vitamin-A-Derivaten, die in Struktur und Wirkung dem Vitamin A ähneln. Der stärkste Wirkstoff mit schnellen Ergebnissen ist und bleibt aber das Tretinoin. Dr. Urselmann erklärt: „Retinoide wirken über die Aktivierung von Retinsäure-Rezeptoren im Zellkern. Während Tretinoin eine direkte Wirkung auf diese Rezeptoren hat, werden Retinol und Retinal erst über mehrere chemische Reaktionen zu Retinsäure umgebaut. Entsprechend höher ist bei Tretinoin jedoch auch das Risiko von Rötungen, Reizungen und der sogenannten Retinoid-Dermatitis (Juckreiz, Rötungen, Schwellungen oder Schuppenbildung) mit gestörter Hautbarriere.“
Gut zu wissen: Retinal ist zwar nicht so stark wie Tretinoin, aber effektiver als Retinol. Laut Dr. Urselmann gibt es „neuere Untersuchungen zu Retinal, die eine höhere Wirksamkeit gegenüber Retinol bei gleichzeitig besserer Verträglichkeit als Tretinoin aufweisen“. Die beiden Substanzen Retinol und Retinal sind zudem in frei verkäuflichen Kosmetika und Anti-Aging-Produkten erhältlich. Wobei Retinal aufgrund der neueren Datenlage noch nicht so häufig in Cosmeceuticals vertreten ist. Ein Blick auf die Inhaltsstoffe von Well-Aging-Creme lohnt sich also!
Diese Wirkstoffe lassen sich mit Tretinoin am besten kombinieren
Durch die Behandlung mit Tretinoin sowie anderen Retinoiden wird die Haut dünner. Zudem UV-empfindlicher und somit anfälliger für Sonnenbrand und nachhaltige Sonnenschäden wie Hautalterung und Pigmentflecken. „Ein absolutes Muss bei der Verwendung von Retinoiden ist deshalb der tägliche Sonnenschutz (mindestens LSF 30)“, so Dr. Urselmann. Zudem die Haut während der Behandlung mit Tretinoin ausreichend mit Feuchtigkeit durch einen reichhaltigen und milden Moisturizer versorgen. Denn vor allem zu Beginn kann die Haut zu vermehrter Trockenheit neigen. Feuchtigkeitscreme wird am besten direkt vor und/oder nach Tretinoin aufgetragen. Dabei sollte die Pflege dem Hauttyp entsprechen, mit „hydratisierenden und beruhigenden Wirkstoffen wie Hyaluron, Urea, Vitamin B 5 oder Vitamin E“, empfiehlt Dr. Urselmann.
Vor allem die Kombination von Tretinoin und Hyaluronsäure hat einen positiven Effekt auf die Hautverjüngung. Beruhigende Wirkstoffe, wie Panthenol oder Allantoin, können zudem die Hautverträglichkeit von Tretinoin verbessern. Nicht zu empfehlen ist jedoch die gleichzeitige Verwendung von einem Exfoliant wie etwa AHA– oder BHA-Produkten, bevor sich die Haut an das Tretinoin gewöhnt hat, betont Dr. Ultee. Denn dadurch steigt das Risiko einer Schädigung der Hautschutzbarriere.
Für welche Hauttypen ist Tretinoin effektiv?
Prinzipiell kann jeder Hauttyp von einer Behandlung mit Tretinoin profitieren. Denn er wirkt nicht nur gegen Akne und Pigmentstörungen, sondern auch hautverjüngend gegen lichtbedingte Hautalterung mit Falten, Fältchen und Elastizitätsverlust. „Das ist das Schöne an diesem Stoff“, so Dr. Ultee. Vorsicht ist allerdings bei Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Rosacea, der perioralen Dermatitis, Kosmetikallergie sowie bei Störungen der Hautbarriere geboten. In diesen Fällen kann Vitamin-A-Säure das Hautbild sogar verschlechtern und die Haut zu sehr austrocknen. Auch in der Schwangerschaft und Stillzeit wird von einer Anwendung abgeraten, warnt Dr. Urselmann. „Hier ist die Datenlage unsicher und mögliche fruchtschädigende Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen.“
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Was raten Expertinnen: Ist Tretinoin mehr als ein TikTok-Hype?
„Dieser TikTok-Hype ist eigentlich nichts Neues. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass Tretinoin gegen Akne und Hautalterung hilft. Es wird häufig verschrieben, und ich vermute, dass das auch so bleiben wird. Denn Tretinoin wirkt nicht nur sehr gut, sondern auch die richtige Anleitung ist sehr wichtig“, so Dr. Ultee. Dem stimmt auch Expertin Urselmann zu. „Tretinoin kann zu Hautreizungen, Trockenheit und Ekzemen führen, daher rate ich von einer Anwendung in Eigenregie ab.“ Die Verschreibungspflicht wird also auch in Zukunft wohl erstmal bleiben. Aber „Retinol und Retinal sind gute Alternativen. Aktuell wird nach neuen Retinoiden geforscht, die effektiver und verträglicher sind“, verrät Urselmann als Ausblick.
Quellen
- mit fachlicher Beratung von Dr. Jetske Ultee, Forschungsärztin auf dem Gebiet der kosmetischen Dermatologie und Dr. med. Eveline Urselmann, Praxis für ästhetische Medizin