1. März 2018, 14:58 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Auf ProSieben sucht Topmodel-Mams Heidi Klum derzeit wieder nach Deutschlands schönstem Nachwuchsmodel – ein Format, das im Schatten der #MeToo-Debatte auch in seiner 13. (!) Wiederholung mehr denn je die Gemüter spaltet: Die einen feiern die Sendung als Kult-Show, die man mit ironischer Distanz betrachten sollte, die anderen sehen die gesunde Entwicklung einer ganzen Generation junger Frauen in Gefahr.
Parallel zum Casting-Aufruf für die neue Staffel konterten Kritikerinnen prompt mit dem Hashtag #notheidisgirl. Ziel der Aktion war es, ein Zeichen gegen falsche Schönheitsideale zu setzen und offen über psychische Probleme zu sprechen. Der Appell trifft einen Nerv: Mehr als 6000 Posts sind unter dem Hashtag bereits zu finden. Jungen Frauen, die GNTM seit dem Teenager-Alter verfolgen, berichten etwa über selbstauferlegte jahrelange Hungerkuren in Folge der Sendung, darunter Userin Son_dja, die bei Instagram erzählt, wie Heidis Mädchen aus dem TV ihr eigenes Essverhalten gefährlich beeinflussten.
STYLEBOOK sprach mit Therapeutin Michaella Benvenisti* darüber, wie schädlich die Botschaft von „Germany’s Next Topmodel“ tatsächlich ist, was #notheidisgirl bewegen kann und wie jede Frau ihr eigenes Selbstbewusstsein stärkt.
STYLEBOOK: Seit mehr als einem Jahrzehnt bleibt die Sendung der Message treu: ,Wenn du einem bestimmten Ideal entsprichst, wirst du erfolgreich und glücklich sein.‘ Wir wissen, was uns erwartet, warum schauen wir solche Formate dennoch?
Michaella Benvenisti: „Es gibt hauptsächlich zwei Gründe, einzuschalten: Zum einen unser eigener Wunsch berühmt zu sein und zum anderen unser Verständnis von Schönheit als Konsumgut. Wir alle wollen reich, berühmt und schön sein. Doch welche Bedürfnisse verbergen sich wirklich dahinter? Wir möchten wertgeschätzt und anerkannt werden. In Reality Shows werden Menschen vom vermeintlichen „Nobody“ zum „Somebody“, bei „Germany’s Next Topmodel“ wird die Schönste der Schönen gekrönt. Als Zuschauer fiebern wir mit dem Aufstieg der Heldin mit. Je nahbarer sie erscheint, desto besser – das könnten wir selbst sein. Wir verwechseln Schönheit mit einer Währung, die uns Zugang zu Liebe, Geborgenheit und Glück verschafft, und wir wollen ein Teil dieser Welt sein.“
Wir sind auch auf Flipboard: stylebook_de – hier folgen!
Bewerben sich deshalb so viele junge Frauen für die Show?
„Ja, denn unsere Gesellschaft lehrt uns: Als schöne Frau hast du Macht. Doch mit dieser Annahme bewegt man sich in einer Illusion, die Schönheit wird zu einem Gefängnis, aus dem man sich nicht mehr emanzipieren kann. Wir sollten kritisch hinterfragen, warum junge Frauen überhaupt als Model arbeiten möchten. Denn dieser Job macht sie selbst zum Objekt: Jedes Produkt ist mehr wert, als die Frau, die es bewirbt. Bei GNTM wird diese Entwertung als Ehre verkauft, und danach streben die Kandidatinnen.“
Würden Sie die TV-Show als Ursache für psychische Störungen bei jungen Frauen bezeichnen und demnach
„Ich würde sie nicht per se als gefährlich kategorisieren, aber die Sendung ist ein Abbild der aufdringlichen Kultur, in der wir leben. Den Zuschauerinnen und Kandidatinnen wird im Verlauf der Castings und Challenges vermittelt: Deine Grenzen und Bedürfnisse werden nicht respektiert, deine Würde und dein Recht am eigenen Körper werden dir genommen. Es ist verwirrend – die Models sollen nicht nur hübsch, sondern auch smart sein, aber bitte nicht zu schlau. Selbstbewusst, aber nicht arrogant, sexy, aber nicht anbiedernd. Die Sendung spiegelt ein sehr traditionelles Rollenverständnis von der fremdbestimmten Frau wider, das kann seelische Traumata verursachen. Ein Ranking zwischen Gut und Schlecht ist generell nicht gesund für Menschen. Es verursacht Stress und Aufregung, Essstörungen können die Folge sein. Die Verwirrung unter Frauen jeden Alters in Folge solcher Sendungen ist groß. Wer darf ich sein? Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Krise, doch es gibt Hoffnung.“
Anzeige: Endlich kein lästiges Ziepen mehr beim Haare kämmen mit diesem Wunderprodukt!
Zum Beispiel durch Bewegungen wie die Kampagne #notheidisgirl, die sich klar gegen das Format positioniert. Auf Instagram trifft der Hashtag auf die angehenden Topmodels, die sich unter #IchBinGNTM2018 präsentieren. Eine sinnvolle Aktion?
„Wir Frauen müssen Verantwortung übernehmen und verstehen, dass wir unsere Gesellschaft nicht nur mitgestalten können, sondern müssen! Wir wissen und erleben, dass die westliche Kultur Frauen objektiviert und es ist an uns zu lernen, Nein dazu zu sagen. Das ist ein harter Prozess, aber der Anfang ist gemacht. Kampagnen wie #notheidisgirl, in denen wir verletzlich sein dürfen, Erfahrungen teilen und persönliche Geschichten erzählen, unterstützen die Selbstbestimmung, und das ist positiv. Im Rahmen unserer „Selfie-Kultur“ wählt sie mit Instagram das richtige Medium, um die Selbstinszenierung der Topmodels zu hinterfragen.“
Die Models inszenieren sich nicht nur selbst, Heidi Klum hat ebenfalls klare Vorstellungen davon, wie sie sich präsentieren sollen. Durch die Bezeichnung als „Mädchen“ und klare Kommandos, etwa beim Nackt-Shooting, nimmt sie den jungen Frauen ein Stück weit ihre Selbstbestimmung. Was steckt dahinter, und was macht das mit den Kandidatinnen?
„Heidi Klum hält die Frauen mit dieser Bezeichnung wortwörtlich klein. Es geht hier nur um Vermarktung: Mit dem Begriff „Mädchen“ wird Unschuld verbunden, doch anstatt diese zu beschützen, nutzt sie den Moment der Unschuld für den Kunden oder die Markenbotschaft maximal aus. Was hat das Model davon? Nichts. Sie lernt, dass es nicht um sie geht, sondern um das Produkt, den Look, den sie in diesem Augenblick repräsentiert. Nicht mal ihr Wunsch nach Aufmerksamkeit wird erfüllt, es geht nur um ihre Hülle. Sie wird kommerziell ausgenutzt.“
Hat die Show auch Stärken?
„Mit „Germany’s Next Topmodel“ hat Heidi Klum eine riesige Plattform geschaffen, sie hat Geld, Einfluss und Ressourcen gesammelt. Das könnte sie nutzen, um eine positive Message für junge Frauen zu schaffen, doch dieses Bewusstsein fehlt. Potenzial liegt darin, dass die Modelanwärterinnen Disziplin lernen, dass sie erfahren, was es bedeutet, hart zu arbeiten und im Team zu denken, sie bekommen eine Idee vom Model-Business. Das ist durchaus eine Chance.“
Auch interessant: Startet GNTM-Siegerin Céline Bethmann jetzt in Paris durch?
Was können wir selbst tun, um dem Schönheitswahn und falschen Idealen etwas entgegen zu setzen?
„Eine Show wie „Germany’s Next Topmodel“ beeinflusst uns alle. Wir sollten mit unseren Töchtern über die Sendung sprechen, für sie da sein. Wir sollten ihnen beibringen, dass es im Leben um mehr geht als um Schönheit. Es gibt äußere Schönheit und es gibt eine innere Schönheit, die dann beginnt, wenn man sich von äußeren Einflüssen und Meinungen frei machen kann. Schön ist, wer er selbst ist. Fragen wir uns selbst und unsere Töchter: Was macht dich wirklich glücklich? Das macht stark.“
Was würden Sie den Topmodels raten?
„Diese jungen Frauen sollten von jemandem begleitet werden, der sie auf das vorbereitet, was sie in der Show erwartet. Ich würde jeder einzelnen gerne mitgeben: Sorge für dich, sorge für deinen Selbstrespekt, dein Herz, deine Würde. Du bist eine schöne Person, nicht nur ein hübscher Körper.“
*Michaella Benvenisti arbeitet als Therapeutin und Body-Mind-Coach in Berlin. Seit vielen Jahren begleitet sie Jugendliche und Frauen in der Persönlichkeitsentwicklung und bei der Bewältigung psychischer Traumata. living-mindfulness.de