15. März 2019, 17:33 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Ich bin hängen geblieben. Mal wieder. Bei GNTM. Dabei musste ich doch beim letzten Mal abschalten, weil ich alles zu konstruiert und vorhersehbar fand. Warum hat es mich dann also bei Folge sechs wieder gepackt? Weil ich plötzlich wieder etwas in der Show entdeckte, was ich schon so lange vermisst habe und verloren glaubte: Empathie! Nicht etwa von Model-Mama Heidi Klum, sondern von Toni Garrn. Die war diesmal Gast-Jurorin und überzeugte in ihrer Rolle so sehr, dass sie den Laden eigentlich viel besser schmeißen könnte.
Zugegeben, als das Hamburger Model von Heidi mit den Worten vorgestellt wurde, dass sie schon in Kampagnen für Calvin Klein, Dior, Versace und Victoria’s Secret mitgewirkt habe und sie sich niemand Besseren vorstellen könne, „um meinen Mädchen beizubringen, wie man einen Haute-Couture-Walk läuft“ – ja, da wollte ich kurzzeitig wieder wegzappen. Victoria’s Secret als Beleg für High Fashion zu nehmen, ist ungefähr so, als würde man McDonalds mit einem Sterne-Restaurant vergleichen. Oder Claudia Schiffer mit Kim Kardashian. High-Heels mit Crocs. Haute Couture ist Schneiderkunst auf höchstem Niveau, bei der die Mode an sich im Fokus steht und nicht der große Name des Models – wie etwa bei der gehypten US-Wäschemarke. Also unglückliche Beispiele, die Klum da wählte, um ihren Promi-Gast einzuführen.
Empathie? Fehlanzeige bei GNTM!
Doch dann kam Toni ins Bild und plötzlich fielen so Sätze wie: „Von den Kandidatinnen zu lernen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das macht mir sehr viel Spaß“ oder „Es sind ein paar sehr Hübsche dabei. Die sind hungrig, die haben Lust. Das ist gut.“ Das Topmodel, das schon mit Leonardo DiCaprio zusammen war und viele Promis zu ihren Freunden zählt, wollte sich von den jungen Castingshow-Teilnehmerinnen etwas abgucken? Worte, die mich in die Sendung zogen und die mir erfrischend, bodenständig und sympathisch vorkamen, so ganz ohne die wohl bekannten hierarchischen Seitenhiebe. Und tatsächlich hielt Garrn, was sie versprochen hatte.
Höflich stellte sie sich jeder einzelnen mit Namen vor, erklärte fast fürsorglich, nie erhaben, den Haute-Couture-Walk. Wie sehr Garrn Freundlichkeit und Wärme in der Show ausstrahlte, wurde aber erst im Zusammenspiel mit Heidi Klum so richtig offensichtlich. Als Justine sich mehr schlecht als modellike über den Catwalk quälte, unkte Klum, ob sie einen Gipsfuß unter ihrem Kleid habe und äffte die Darbietung nach. Dass die 20-Jährige währenddessen mit den Tränen kämpfte – für Klum anscheinend nur „collateral damage“. Nicht weiter beachtens- oder erwähnenswert.
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Nennen Sie mich sensibel, aber wenn ein junges, weinendes Mädchen vor mir steht, dann verspüre ich den Drang, es irgendwie zu trösten, in den Arm zu nehmen, ihm etwas Positives zu sagen. Eben jene von mir so vermisste Empathie bei „Germany’s Next Topmodel“ zu zeigen. Doch dann kam zum Glück wieder Toni Garrn ins Bild. „Ist nicht easy mit großen Kleidern“, beschwichtigte sie die weinende Justine. „Deine Haare sehen cool aus, ist ’ne gute Frisur für dich.“ Die Auszubildende aus NRW hatte erst in der vorangegangenen Folge ihre braunen lange Haare gegen einen blonden Pixie-Cut eintauschen müssen. Das Kompliment von Garrn daher an dieser Stelle gut platziert. Der Preis: ein Lächeln der immer noch aufgelösten Kandidatin – und genau das, was die ProSieben-Show so dringend braucht.
Ein Supermodel, das Nachwuchsmodels auf das Business vorbereitet und dabei nicht den Menschen aus dem Blick verliert. In diesem Fall junge, unerfahrene Teenies und junge Frauen, die sich mit ihrer Teilnahme mutig einem Millionenpublikum stellen, Bodykritik einstecken und ihre Gefühle offenlegen müssen. Muss es da wirklich auch noch sein, dass diese Kandidatinnen von der vermeintlichen Mentorin mit Unnahbarkeit und Eiseskälte bestraft werden? Toni Garrns Art liegt mir da viel näher – bei ihr wirkt das Ganze nicht wie ein Konkurrenzkampf zwischen ungleichen Gegnern, sondern eher wie ein Austausch unter Kollegen, denen man alles Gute gönnt und von denen man sich inspirieren lässt. „Ich liebe die Frisur auch, aber du musst diese Frisur jetzt mal mit Persönlichkeit füllen“, so Klum später zu Justine. „Einfach ein bisschen mehr Leben rein bringen, bisschen mehr Schmackes.“ Sag‘ ich doch – mehr Gefühl.